Mutter Erde und die Frauen im Patriarchat

Die Wahrnehmung von Frauen in westlichen und muslimischen Gesellschaften“

Vortrag zur gleichnamigen Vernissage, München, Mohr-Villa, 8.3.2014

Ausstellungskatalog, S. 10-12

Prof. Dr. Claudia von Werlhof

Im Westen werden Frauen nicht in 1. Linie unter dem Aspekt ihres potentiellen oder aktuellen  Mutter-Seins betrachtet. Sie werden in der Öffentlichkeit auch nicht unbedingt als Mitglied einer Familie wahrgenommen, als eine Person, die unter männlichem oder allgemein sozialem Schutz und/oder ebensolcher Kontrolle steht. Sondern die Frauen hier erscheinen im Prinzip als freie, frei-gesetzte Individuen und mögliche Objekte der Begierde, sei es als Arbeitskraft, sei es als Sexualwesen. Oder aber sie erscheinen als geschlechtsfernes Neutrum, das noch als Arbeitskraft Verwendung finden mag.

Dies ist in muslimischen Ländern durchaus nicht, oder noch nicht der Fall. Dort werden Frauen vor allem als potentielle Mütter gesehen, die immer in einen familiären Zusammenhang gehören, der dauerhaft für Schutz nach außen und gerade auch eine Kontrolle durch die männlichen Mitglieder sorgt, -daneben natürlich auch als Sexualwesen und Arbeitskraft. Nie jedoch als nur dies oder gar als Geschlechts-Neutrum.

Aus diesem Unterschied wird ersichtlich, dass die westliche Frau als von allen Bindungen freie erscheint, die muslimische als von Traditionen erdrückte. Die westliche Frau zieht sich in der Öffentlichkeit aus, die muslimische an: die eine stellt sich zur Schau, die andere verhüllt sich. Die Spannbreite dieses Unterschieds verläuft zwischen öffentlicher Prostitution und privater Sklaverei.

Und siehe da: der Unterschied ist so gesehen auf einmal minimal. Er ist nur einer der Form nach. Aussuchen kann sich keine Frau, ob sie zu der einen oder anderen Welt gehört. Eine westliche Frau, die sich nicht auf die jeweils etwa modisch bestimmte Weise präsentiert, bekommt weder einen Job noch einen Ehemann. Und die muslimische Frau, die sich nicht versteckt, meist ebenso. Das Überleben beider hängt also davon ab, dass sie sich anpassen.

Aber woran?: an verschiedene Formen des Patriarchats!

Wie ist das zu verstehen?

Die westliche Frau scheint freier zu sein, sogar frei vom Patriarchat im Sinne einer männlichen Kontrolle. Aber der Schein trügt. Die Kontrolle hat sich nur verlagert von der Kontrolle über den mütterlichen Leib sowie dessen langfristige Verwendung und Einbindung – zur Kontrolle über den auch kurzfristig zu habenden anderen „Körper“.

Der Schutz des einen Leibes, von dem die Männer, die Familie und die Generationen abhängen, weicht der praktisch schutzlosen Preisgabe des anderen, von dem nichts mehr abhängt – der ersetz- und austauschbar erscheint.

Die muslimische Frau wird also noch als Gebrauchswert, die westliche bereits nur mehr als Tauschwert – als Ware wahrgenommen. Sie bekommt damit alle Attribute derselben zugewiesen: Käuflichkeit, Herstellbarkeit, Ersetzbarkeit, Beliebigkeit, Verwendbarkeit und mit einem Ablaufdatum versehen. Danach, etwa alt oder krank, ist sie buchstäblich wert-los.

So groß diese Differenz auch sein mag, es ist doch wieder ein gemeinsamer Hintergrund feststellbar. Der Unterschied resultiert nur aus verschiedenen Phasen in der Entwicklung des Patriarchats als historischem und weltweitem Prozess, der nicht überall auf dem gleichen Stand ist.

Westliche ebenso wie muslimische Länder sind geprägt von der Zivilisation des Patriarchats, die vor 5-7 Tausend Jahren zu entstehen begann und sich seitdem immer mehr ausgebreitet hat. Dabei hat diese Zivilisation aber auch eine Entfaltung ihrer eigentlichen Ziele und Projekte erlebt, die nun in der westlichen Moderne ihrem Höhepunkt zustreben:

–         Der Abschaffung der Mutter – der Schaffung einer mutterlosen Welt – dem allgemeinen Muttermord.

Im Matriarchat war die Mutter der Mittelpunkt der Zivilisation – im Patriarchat wird sie an den Rand gedrängt und darüber hinaus. Mütter sind heute die „marginale Masse“, welche bald verschwinden, eine Art „Rasse“, die bald aussterben soll. Die Mutter steht kurz vor ihrer geplanten Ersetzung durch die Maschine, wie alles an Natur, das schon der Maschine gewichen ist. Diese ist Projekt und Programm: ein mater arché – am Anfang die Mutter – ist das Gegenteil von der Utopie des pater arché – am Anfang ein Vater!

Der Makel der Geburt aus der Frau muss dem Großen Werk der „höheren“ Geburt von Männerhand und –Kopf weichen. Wo dies noch nicht ganz möglich ist, wird „Leben“ schon vorwegnehmend nicht mehr als geborenes definiert, sondern als zu machendes, gar gemachtes, nicht mehr als von Mutter (und) Natur geschenktes, sondern als von Männern und Maschinen produziertes.

Auch wir westlichen Frauen sind meist immer noch Mütter. Denn unsere besondere Frauen-Macht, die „Gynergie“, das neue Leben hervorbringen zu können, konnte noch nicht wirklich ersetzt werden. Aber das spielt zunehmend keine Rolle mehr bei der Art, wie mit uns umgegangen wird. Da herrscht schon die Idee vor, dass wir als Mütter demnächst gar nicht mehr gebraucht und als rückständig zurückgelassen werden sollen.

Das Ende der Mutterschaft wäre der Schluss-Stein auf dem Weg der Vollendung des Patriarchats.

Das Menschsein begann mit der Mutter. Endet es auch mit ihr? Eine umfassendere Revolution kann es nicht geben.

Bemerkenswert bei dieser Entwicklung ist, dass sie sich längst in unseren Empfindungen kundtut. Wir schauen auf uns nicht mehr als mögliche Mütter. Sogenannte “Gender“-Frauen wollen von sich aus grundsätzlich keine Mütter mehr sein. Die Erinnerung daran wird als Zumutung zurückgewiesen, ja es wird sogar die naturgegebene Existenz des weiblich-mütterlichen Leibes in seinem Unterschied zum männlichen bestritten.

Die westliche Frau ist heute buchstäblich mutterseelenallein.

Ist es das, wohin die muslimische Gesellschaft nun auch strebt? Oder macht man sich dort gar nicht klar, was die westliche Moderne eigentlich bedeutet?

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